Zum Vorliegen eines Arbeitsunfalls bei Verletzung auf dem Weg zur Arbeitsagentur

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.07.2012 – L 3 U 209/11

Voraussetzung für das Bestehen von Unfallversicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII ist zunächst, dass der Betroffene der Meldepflicht nach einem der darin genannten Gesetze unterliegt, und weiter, dass er den unfallbringenden Weg unternommen hat, weil er einer „Aufforderung“ der Arbeitsagentur hierzu nachkommt (Rn.25).

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 08. Juli 2011 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind weder für das erst- noch für das zweitinstanzliche Verfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Streitig ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 04. März 2008 als Arbeits- / Wegeunfall.

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Die 1976 geborene Klägerin war zum Zeitpunkt des Ereignisses bei der C-Universität in K beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis hatte am 10. April 2006 begonnen und war bis zum 09. April 2008 befristet. Am 29. Januar 2008 stellte sich die Klägerin erstmals am Empfang bei der Arbeitsagentur (AA) K vor, um sich arbeitslos zu melden. Am 04. Februar 2008 erfolgte in einem persönlichen Termin die Arbeitslosmeldung. Am selben Tag wurde ein Termin beim Arbeitsvermittler für den 04. März 2008 um 9:00 Uhr vereinbart. Ihr wurde eine entsprechende „Einladung“ ausgehändigt des Inhalts, sie möge in das Gebäude der AA K, Zimmer 052 kommen. Man wolle mit ihr über ihr Bewerberangebot bzw. ihre berufliche Situation sprechen. Beigefügt war ein Antwortformular, in dem bestimmte Gründe angekreuzt werden konnten für ein Nichterscheinen zu dem Termin. Dort wurde die „Einladung“ als „Aufforderung … zur persönlichen Meldung am 04.03.2008“ bezeichnet. Außerdem erhielt die Klägerin weitere Unterlagen, nämlich u. a. den Antrag auf Arbeitslosengeld, wo als Datum der Arbeitslosmeldung im Sinne von § 122 SGB III der 04. Februar 2008 angegeben war, Hinweise zu diesem Antragsformular mit einer umfassenden Liste von bei der „Antragsabgabe … unbedingt mitzubringender“ Unterlagen und dem Hinweis, dass der Antrag mit allen Unterlagen möglichst persönlich „zu dem vereinbarten Termin“ abgegeben werden solle und ein Blatt mit „leistungsrechtlichen Hinweisen zur frühzeitigen Arbeitssuchmeldung“ und ein Formular, in dem die Klägerin ihre Gründe für ihre verspätete, weil nicht spätestens 3 Monate vor Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses erfolgte, Meldung als Arbeitsuchende angeben sollte. Im Vorfeld des Termins vom 04. März 2008 sandte die Klägerin ihre komplette Bewerbungsmappe sowie weitere Auskünfte an die AA.

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Am 04. März 2008 begab sich die Klägerin zur Bushaltestelle in der K Straße/Wplatz und wartete dort auf den Bus. Nach 10 bis 15 Minuten erinnerte sie sich, dass an diesem Tag die K Verkehrsbetriebe (KVG) streikten und ging nun zu Fuß zum Hauptbahnhof K in der Hoffnung, von dort ein Taxi zur AA nehmen zu können. Auf diesem Weg wurde sie gegen 09:10 Uhr beim Überqueren der Straße an der Kreuzung S/W von einem PKW angefahren und verletzte sich das linke Knie. Unter anderem erlitt sie eine Kapselruptur. Der Vorgang wurde zunächst von der Unfallkasse Nord bearbeitet, bevor ihn im August 2008 die Beklagte übernahm.

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Leistungen aus der Gesetzlichen Unfallversicherung erbrachte zunächst die den Vorgang erstbearbeitende Unfallkasse Nord und dann auch die Beklagte. Dabei ging man bei der Beklagten anfangs davon aus, dass die Klägerin den Unfall vom 04. März 2008 bei einer in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Tätigkeit erlitten habe, weil sie auf dem Weg zur AA K in Erfüllung einer Meldepflicht nach § 37b Drittes Sozialgesetzbuch (SGB III) gewesen sei. Diese Einschätzung wurde dann jedoch nach nochmaliger Prüfung dahin korrigiert, dass ein Versicherungsschutz für vergleichbare Konstellationen erst seit den zum 01. Januar 2009 in Kraft getretenen Änderungen im SGB III durch Art. 1 des Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21. Dezember 2008 (BGBl. I S 2917; im weiteren Text: SGB III n. F.), insbesondere die Neufassung des § 38 SGB III mit einem jetzt eingefügten Verweis auf die allgemeine Meldepflicht des § 309 SGB III für Arbeitsuchende, bestehe.

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Dem folgend lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 30. Oktober 2009 ab, den Unfall der Klägerin vom 04. März 2008 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Ein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 Siebtes Sozialgesetzbuch (SGB VII) setze eine Meldepflicht voraus. Der allgemeinen Meldepflicht für Arbeitslose nach § 309 SGB III habe die Klägerin aber wegen des noch bestehenden Beschäftigungsverhältnisses und des fehlenden Anspruchs auf Arbeitslosengeld zum Unfallzeitpunkt nicht unterlegen. Der Meldepflicht zur frühzeitigen Meldung als Arbeitsuchende nach § 37b SGB III habe die Klägerin schon am 04. Februar 2008 Genüge getan. Eine dauerhafte Meldepflicht auch für die nachfolgende Zeit sei durch § 37b SGB III nicht begründet worden. Die Regelungen des § 38 SGB III begründeten nur allgemeine Mitwirkungspflichten, deren Erfüllung aber kein persönliches Erscheinen erforderten.

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Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch, mit dem sie geltend machte, einer Meldepflicht nach § 38 SGB III unterlegen zu haben, und sehr konkret und bestimmt von der AA K aufgefordert worden zu sein, dort am 04. März 2008 vorzusprechen, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2011 zurück – bei im Wesentlichen gleich bleibender Begründung und dem ergänzenden Hinweis, dass erst die ab dem 01. Januar 2009 geltenden Fassung des § 38 SGB III (n. F.) auf § 309 SGB III verweise und eine Meldepflicht begründe.

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Mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) hat die Klägerin weiterhin die Anerkennung des Ereignisses vom 04. März 2008 als Arbeitsunfall begehrt. Die Meldepflicht i. S. d. § 21 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII beschränke sich nicht auf allgemeine Meldepflichten, sondern umfasse alle Meldepflichten des SGB III, aus denen persönliche Kontakte zur AA im Interesse einer geordneten Arbeitsvermittlung resultierten. Unstreitig sei sie am 29. Januar bzw. 04. Februar 2008 ihrer Meldepflicht nach § 38 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB III nachgekommen. Auch am 04. März 2008 habe sie einer Meldepflicht unterlegen. Das ergebe sich aus Sinn und Zweck der §§ 37, 38 SGB III. Schließlich habe so schnell wie möglich die nach § 37 SGB III vorgesehene Potentialanalyse stattfinden und eine Wiedereingliederungsvereinbarung abgeschlossen werden sollen. Hinsichtlich der Potentialanalyse habe sie der Auskunftspflicht unterlegen, und diese finde nicht nur schriftlich und telefonisch statt, sondern auch persönlich im Rahmen eines Beratungsgesprächs. Außerdem sei sie aufgrund der Einladung davon ausgegangen, verpflichtet gewesen zu sein, sich am 04. März 2008 bei der AA K persönlich vorzustellen. Auch den Antrag auf Arbeitslosengeld, der ihr bereits ausgehändigt worden sei, habe sie nur persönlich abgeben können. Soweit der Gesetzgeber für Arbeitssuchende seit dem 01. Januar 2009 nunmehr in § 38 Abs. 1 Satz 6 SGB III ebenfalls eine Meldepflicht nach §§ 309, 310 SGB III vorgesehen habe, habe er eine klar stellende Regelung gegenüber der zuvor wohl umstrittenen Problematik getroffen.

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Das SG hat durch Urteil vom 08. Juli 2011 den Bescheid der Beklagten vom 30. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2010 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Unfall vom 04. März 2008 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die Klägerin habe auf dem Weg von ihrer Wohnung zur AA K dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII unterstanden, da sie einer verpflichtenden Aufforderung zur persönlichen Meldung der AA K nachgekommen sei. Dass es sich bei der Einladung vom 04. Februar 2008 nicht um einen unverbindliches Gesprächsangebot, sondern um eine besondere, an sie im Einzelfall gerichtete Aufforderung i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII gehandelt habe, werde von der Beklagten nicht in Abrede gestellt und ergebe sich aus dem gesamten Inhalt des Schreibens. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe die Klägerin aber am 04. März 2008 auch einer Meldepflicht nach den Vorschriften des SGB III i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII unterlegen, die durch die „Einladung“ zum 04. März 2008 konkretisiert worden sei. Zwar sei die Klägerin am 04. März 2008 aufgrund ihres noch fortbestehenden Beschäftigungsverhältnisses noch nicht arbeitslos gewesen und habe daher nicht den damals geltenden gesetzlichen Regelungen der allgemeinen Meldepflicht nach § 309 SGB III unterlegen. Ihrer aus § 37b SGB III begründeten Pflicht, sich als Arbeitssuchende zu melden, sei sie im Übrigen bereits am 29. Januar 2008 nachgekommen. Allerdings bedürfe es keiner allgemeinen Meldepflicht nach dem SGB III, um den Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII zu begründen. Hinreichend sei vielmehr auch eine sich erst aus einer eindeutigen und sanktionsbewehrten Meldeaufforderung der AA ergebende konkrete Meldepflicht im Rahmen eines zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses des Betroffenen mit der AA nach dem SGB III. Anerkannt sei dies z. B. für die Einladung einer in einer ABM tätigen Person zu einer Informationsveranstaltung gemeinsam mit anderen ABM-Teilnehmern, bei der neue Arbeitsstellen angeboten werden sollten, da die Nichtbefolgung einer Einladung zur Berufsberatung gemäß § 269 Abs. 2 Satz 3 SGB III dazu führe, dass die AA einen einer ABM zugewiesenen Arbeitnehmer aus der Maßnahme abberufen könne. Die Situation im vorliegenden Fall sei damit vergleichbar. Vor der Neuregelung zum 01. Januar 2009 habe es zwar keine allgemeine Meldepflicht für die Klägerin gegeben, sehr wohl aber eine eindeutig verbindliche Aufforderung zur persönlichen Meldung. Gemäß § 38 SGB III in der zum Unfallzeitpunkt geltenden Fassung habe Arbeitssuchenden gemäß § 38 Abs. 2 SGB III der Verlust der Vermittlungsleistungen gedroht, wenn sie nicht ausreichend mitwirkten. Was unter Mitwirkung zu verstehen sei, ergebe sich aus den weiteren damaligen Regelungen des § 38 SGB III. In § 38 Abs. 1 SGB III sei den Arbeitssuchenden u. a. eine unfassende Pflicht auferlegt worden, die notwendigen Auskünfte zu erteilen, Wenn nun aber die AA wie im vorliegenden Fall eine persönliche Vorsprache und die persönliche Abgabe von Unterlagen fordere, werde die allgemeine Mitwirkungspflicht für den Arbeitssuchenden ebenso zu einer konkreten Meldepflicht wie im Fall des ABM-Teilnehmers, der eine Einladung zur Berufsberatung erhalten.

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Gegen das am 23. August 2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 07. September 2011 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) eingegangene Berufung der Beklagten. Entgegen der Auffassung des SG fehle es hier an der in § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII geforderten Meldepflicht der Klägerin zum Unfallzeitpunkt. Unstreitig kämen vorliegend die Meldepflichten aus den §§ 37 b und 309 SGB III nicht in Betracht. Unstreitig sei ebenfalls, dass alle im Gesetz bestehenden Meldpflichten solche im Sinne der Norm sein könnten. Jedoch könne aus der hierzu existierenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht geschlossen werden, dass jeder, der eine Aufforderung erhalten, zugleich auch der Meldepflicht unterliegen. Das BSG kreiere in seiner Rechtsprechung keine Meldepflicht allein aus der Tatsache, dass eine Aufforderung erfolgt sei, sondern orientiere sich an einer konkret im Gesetz geregelten Verpflichtung der AA, gegenüber dem Arbeitssuchenden tätig zu werden. Wenn tatsächlich, wie das SG meine, davon auszugehen sei, dass sich aus einer eindeutigen und sanktionsbewehrten Aufforderung der AA grundsätzlich auch eine Meldepflicht ergäbe, wäre es entbehrlich gewesen, in § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII ausdrücklich festzulegen, dass nur meldepflichtige Personen bei Vorliegen einer entsprechenden Aufforderung versichert seien.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 08. Juli 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Der Versicherungsschutz des § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII ergebe sich au der Meldepflicht des § 38 Abs. 1 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung (a. F.). Grundsätzlich sei die AA nach § 38 Abs. 4 Nr. 4 SGB III a. F. gehalten gewesen, für sie die Arbeitsvermittlung durchzuführen. Dies habe die AA ohne ihr – der Klägerin – Mitwirkung nicht durchführen können. Daher sei sie nach § 38 Abs. 1 SGB III a. F. verpflichtet gewesen, die für die Vermittlung erforderlichen Auskünfte zu erteilen und Unterlagen vorzulegen. Für den Fall, dass sie dem unentschuldigt nicht nachgekommen wäre, habe § 38 Abs. 2 SGB III als Sanktion angedroht, dass die AA die Arbeitsvermittlung einstelle. Bestehe die AA – wie hier – darauf, dass die Auskünfte persönlich im Rahmen eines Gesprächs vor Ort erteilt und die weiteren erforderlichen Unterlagen ebenfalls persönlich übergeben würden, werde dadurch eine Meldepflicht für den Arbeitssuchenden begründet. Dementsprechend enthalte § 38 Abs. 1 SGB III eine Meldepflicht, auch wenn dies nicht explizit so im Gesetz stehe. Im Übrigen hätte sie selber, hätte sie gewusst, dass sie keiner Meldepflicht unterlag, sich niemals auf den Weg zur AA gemacht, da sie sich von ihren eigenen Bewerbungsbemühungen mehr versprochen habe.

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Der Senat hat erfolglos versucht, die Unfallanzeige bzw. die Ermittlungsakte zum streitigen Geschehen vom Polizeibezirksrevier K zu erhalten (Auskunft der Stadt K vom 09. Februar 2012). Darüber hinaus hat der Senat die Computerausdrucke über die Gesprächsvermerke der AA K bezüglich des Zeitraum Februar bis März 2008 beigezogen und eine erläuternde Auskunft der AA K vom 15. März 2012 zum Zweck des Termin am 04. März 2008 und zum Verständnis des Gesprächsvermerks vom 04. Februar 2008 eingeholt. Danach diente der Termin am 04. März 2012 der Prüfung der Anspruchsvoraussetzung nach den §§ 16 und 119 SGB III sowie der nach § 37 SGB III erforderlichen Prüfung (Potentialanalyse und Eingliederungsvereinbarung). Der Vermerk „TAV o. Rf. für den 04032008 09:00 Uhr vereinbart u. AP3 mit Hinweisblatt u. Rückumschlag ausgehändigt“ steht für „Termin beim Arbeitsvermittler ohne Rechtsfolgen“ und „Arbeitspaket 3“.

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Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 06. Mai und 11. Mai 2012 ihr Einverständnis mit einer schriftlichen Entscheidung durch die Berichterstatterin anstelle des Senats erklärt (§§ 153 Abs. 1, 155 Abs. 3, 4, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ).

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bände) verwiesen.


Entscheidungsgründe

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Die Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 155 Abs. 3, 4, 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig und begründet. Das Urteil des SG vom 08. Juli 2011 ist aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Bescheid der Beklagten vom 30. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2010 ist nicht zu beanstanden. Bei dem Ereignis vom 04. März 2008 handelt es sich nicht um einen Arbeits- / Wegeunfall.

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Für einen Arbeitsunfall ist nach den Maßgaben des § 8 Abs. 1 SGB VII in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität), und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern erst für die Gewährung einer Verletztenrente (Urteil des BSG vom 04. September 2007 – B 2 U 28/06 R – in SozR 4-2700 § 8 Nr. 24 m. w. N.).

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Alle rechtserheblichen Tatsachen bedürfen des vollen Beweises mit Ausnahme derjenigen, die einen Ursachenzusammenhang (Unfallkausalität, haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität) ergeben; für diese genügt angesichts der hier typischen Beweisschwierigkeiten die hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG in SozR 2200 § 548 Nrn. 70 und 84). Voll bewiesen sein müssen aber auch hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs immer die Ursache selbst und der ihr zuzurechnende Erfolg; die hinreichende Wahrscheinlichkeit bezieht sich nur auf die kausalen Zwischenglieder. Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (Urteil des BSG vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R –, in Juris m. w. N.). Zu den voll zu beweisenden Tatsachen gehören damit z. B. die Erfüllung des Versicherungsschutztatbestandes nach §§ 2 ff SGB VII, die Verrichtung der versicherten Tätigkeit, das äußere Ereignis, ein Körperschaden und die Plötzlichkeit als Unfallmerkmale. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Aufl. 2012, Randnr. 3b zu § 128 m. w. N.).

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Zu den versicherten Tätigkeiten eines Versicherten zählt nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3, 6 SGB VII versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Der Versicherungsschutz auf dem Weg nach und von der Arbeitsstätte oder einer anderen versicherten Tätigkeit wird damit begründet, dass diese Wege nicht aus privaten Interessen, sondern wegen der versicherten Tätigkeit unternommen werden und somit eine Art Vor- oder Nachbereitungshandlung zur eigentlichen versicherten Tätigkeit darstellen. Die in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gebrauchte Formulierung „des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges“ kennzeichnet den sachlichen Zusammenhang des unfallbringenden Weges mit der eigentlichen versicherten Tätigkeit. Dieser besteht, wenn der Weg wesentlich zu dem Zweck zurückgelegt wird, den Ort der Tätigkeit oder nach deren Beendigung im typischen Fall die eigene Wohnung zu erreichen. Da der Gesetzgeber die Grundentscheidung „Versicherungsschutz auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit“ in § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII getroffen hat, ist von der Rechtsprechung nur zu klären, ob ein Versicherter, als er verunglückte, einen solchen versicherten Weg zurückgelegt und infolge dessen einen Gesundheitserstschaden erlitten hat. Dieser Unfallschutz setzt zunächst voraus, dass der Weg der (grundsätzlich) versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII zuzurechnen ist, weil es sich nur dann um eine nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit handelt. Sodann ist erforderlich, dass die Verrichtung während des Weges zur Zeit des Unfallereignisses in sachlichem Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges stand.

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Maßgebliches Kriterium hierfür ist, ob die anhand objektiver Umstände zu beurteilende Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des Weges darauf gerichtet war, eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung auszuüben, das heißt ob sein Handeln zum Weg zu oder von der Arbeitsstätte gehört (Urteile des BSG vom 02. Dezember 2008 – B 2 U 15/07 R –, in Juris; vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 29/06 R -, in SozR 4-2700 § 8 Nr. 25; vom 04. September 2007 – B 2 U 24/06 R -, in SozR 4-2700 § 8 Nr. 24 und vom 11. September 2001 – B 2 U 34/00 R -, in SozR 3-2700 § 8 Nr. 9).

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Die Klägerin befand sich am 04. März 2008 jedoch, indem sie an diesem Tag dabei war, die AA Kiel aufgrund einer schriftlichen Einladung vom 04. Februar 2008 zu einem für 9:00 Uhr angesetzten Termin mit dem Arbeitsvermittler, bei dem die Anspruchsvoraussetzungen nach den §§ 16 und 119 SGB III geprüft sowie die nach § 35 SGB III (in der Fassung des Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594; § 37 SGB III bezog sich in der am 04. März 2008 gültigen Fassung auf die Beauftragung Dritter mit der Vermittlung) erforderliche Eignungsfeststellung (seit dem 01. Januar 2009 § 37 Abs. 1 SGB III: Potentialanalyse) und Eingliederungsvereinbarung durchgeführt werden sollten, nicht auf dem Weg zu einer dem Versicherungsschutz des SGB VII unterliegenden Tätigkeit. Zwar hat der Senat keine Zweifel daran, dass sich die Klägerin zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls, der sich laut dem Durchgangsarztbericht (DAB) des Prof. Dr. S gegen 9:10 Uhr ereignete, auf dem direkten Weg zu ihrem Termin bei der AA K befand. Insoweit sind die Angaben der Klägerin, aufgrund des – von ihr zunächst versehentlich nicht beachteten – Streiks der Verkehrsbetriebe (vgl. hierzu: http://nord.verdi.de/presse/showNews?id=80c13656-e91e-11dc-5025-0019b9e321cd sowie http://luebeck-ostholstein.verdi.de/chronik/2008/20080303) in Zeitverzug gewesen und zu Fuß in Richtung Hauptbahnhof – in der Hoffnung, dort ein Taxi zu bekommen – unterwegs gewesen zu sein, nachvollziehbar und glaubhaft. Jedoch liegen bezüglich der Vorstellung bei der AA K nicht die Voraussetzungen einer versicherten Tätigkeit gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII liegen vor.

24

Kraft Gesetzes sind u. a. Personen versichert, die nach den Vorschriften des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung einer Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen (§ 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII in der bis zum 04. November 2008 geltenden Fassung).

25

Voraussetzung für das Bestehen von Unfallversicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII ist demnach zunächst, dass der Betroffene der Meldepflicht nach einem der darin genannten Gesetze unterliegt, und weiter, dass er den unfallbringenden Weg unternommen hat, weil er einer „Aufforderung“ der AA hierzu nachkam. Zwar stellte die „Einladung“ der AA K vom 04. Februar 2008 eine solche „Aufforderung“ dar, es fehlt hier jedoch an einer – getrennt von der „Aufforderung“ zu beurteilenden – Meldepflicht. Die Klägerin unterlag zum damaligen Zeitpunkt unstreitig nicht der allgemeinen Meldepflicht nach § 309 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F., weil sie weder arbeitslos war noch Anspruch auf Arbeitslosengeld für diesen Zeitraum erhoben hatte und auch nicht über einen entsprechenden ruhenden Anspruch verfügte. Sie unterlag auch keiner weiteren Meldepflicht nach dem SGB III.

26

Dass unter Meldepflicht „nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches“ nicht allein – soweit es das SGB III betrifft – die nach § 309 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F. bestehende „allgemeine Meldepflicht“ (Legaldefinition, vgl. § 309 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F.), die nur Arbeitslose, die einen Leistungsanspruch geltend machen, betraf, zu verstehen sein muss, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII, der keine Einschränkung etwa auf die allgemeine Meldepflicht enthält und so offen lässt, welche Vorschriften des SGB III eine Meldepflicht im Sinne dieser Vorschrift betreffen. Daraus und aus dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift, einem Personenkreis Unfallversicherungsschutz zu gewähren, der sich aufgrund eines bestehenden öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses nicht ohne rechtliche Nachteile einer konkreten Meldepflicht entziehen kann, die eine Beziehung zum Arbeitsleben aufweist, folgt, dass alle so beschaffenen Meldepflichten von dieser Norm erfasst werden sollen (vgl. das Urteil des BSG vom 05. Februar 2008 – B 2 U 25/06 R -, in SozR 4-2700 § 2 Nr. 11).
27

Einer etwaigen aus § 37b Satz 1 SGB III a. F. resultierenden Meldepflicht ist die Klägerin spätestens mit der persönlichen Vorstellung bei der Sachbearbeiterin am 04. Februar 2008 ebenso nachgekommen wie einer etwaigen aus § 122 Abs. 1 SGB III a. F. folgenden Meldepflicht (vgl. hierzu den Vermerk der Sachbearbeiterin A G im Computersystem vom 04. Februar 2008 08:52 Uhr).

28

Entgegen der Auffassung der Klägerin sowie des SG folgt aus § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB III keine Meldepflicht. Diese Vorschrift konstituiert lediglich die Mitwirkungspflichten eines Stellensuchenden und schreibt insbesondere nicht vor, in welcher Form der Stellensuchende diesen Pflichten nachzukommen hat. Hierdurch unterscheidet sich § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F. auch maßgeblich von § 269 Abs. 2 Satz 3 SGB III in der Fassung vom 24. März 1997 (BGBl. I S. 594; vgl. das Urteil des BSG vom 05. Februar 2008 – B 2 U 25/06 R -, a. a. O.). Gemäß § 269 Abs. 2 Satz 3 SGB III in der eben genannten Fassung muss eine Einladung der AA vorliegen, d. h. der zugewiesene Arbeitnehmer muss sich persönlich zur Berufsberatung vorstellen. Dies knüpft an die allgemeine Meldepflicht für Arbeitslose in § 309 Abs. Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB III an (vgl. hierzu auch das Urteil des BSG vom 05. Februar 2008 – B 2 U 25/06 R -, a. a. O.). Im Gegensatz dazu können im Rahmen des § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB III a. F. die Auskünfte sowohl fernmündlich als auch postalisch oder persönlich erteilt werden. So hat die Klägerin ja auch im Vorfeld des Termin bereits Unterlagen an die AA übersandt. Jedenfalls konstituiert die Vorschrift offensichtlich keine zwingende persönliche Meldung zur Erfüllung der Mitwirkung. Auch die in Abs. 2 des § 38 SGB III a. F. angeführten – und im Ermessen der AA stehenden – Sanktionsmöglichkeiten greifen im Gegensatz zur nach § 269 Abs. 2 Satz 3 SGB III i. d. o. g. Fassung möglichen dauerhaften Abberufung aus der Maßnahme nur, so lange den Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen wird, d. h. die Vermittlung darf nur so lange eingestellt werden, wie der Stellensuchende seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt und nicht dauerhaft. Auch § 35 SGB III a. F. konstituiert allein aufgrund seines Wortlautes keine Meldepflicht.

29

Soweit die AA in ihrer Auskunft vom 28. Juli 2008 gegenüber der Beklagten angegeben hat, die Klägerin habe am 04. März 2008 der Meldepflicht nach § 309 SGB III unterlegen, so handelt es sich hier um eine offensichtliche Falschauskunft. Im Übrigen ist die von der AA erteilte Auskunft nicht rechtsverbindlich. Vielmehr hat der Senat eigenständig zu prüfen, ob eine Meldepflicht als Voraussetzung für den Versicherungsschutz bestand.

30

Allein aus der Tatsache, dass der Klägerin eine Meldeaufforderung zum 04. März 2008 vorlag, ergibt sich keine Meldepflicht i. S. d. Gesetzes. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII in der zum Unfallzeitpunkt geltenden Fassung sind kumulativ zu prüfen, d. h. es muss zum Einen zum Unfallzeitpunkt eine sich aus dem Gesetz ergebende Meldepflicht der Klägerin bestehen und zum Anderen eine für den Unfalltag geltende Meldeaufforderung. Soweit das SG unter Berufung auf die Entscheidung des BSG vom 05. Februar 2008 – B 2 U 25/06 R – (a. a. O.) darauf abhebt, dass „eine sich erst aus einer eindeutigen und sanktionsbewehrten Meldeaufforderung der AA ergebende Meldepflicht im Rahmen eines zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses des Betroffenen mit der AA nach dem SGB III“ (vgl. Seite 5 der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils) hinreichend sei, so kann dieser Auffassung bereits deshalb nicht gefolgt werden, weil im Gegensatz zum vorliegenden Fall in dem vom BSG entschiedenen Fall eine sich aus dem Gesetz ergebende Meldepflicht bestand. Darüber hinaus existierte hier auch keine „sanktionsbewehrte“ Meldeaufforderung. Aus dem Bearbeitervermerk im Computersystem der AA ergibt sicht, dass es sich bei dem Termin am 04. März 2008 um einen Termin beim Arbeitsvermittler ohne Rechtsfolgen handelte (vgl. den Vermerk der Sachbearbeiterin A G im Computersystem vom 04. Februar 2008 08:52 Uhr und die Erläuterung der AA vom 15. März 2012). Zutreffend weist die Beklagte auch darauf hin, dass die Voraussetzung einer gesetzlichen Meldepflicht in § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII hinfällig wäre, wenn sich diese wiederum im Wesentlichen nur aus der Meldeaufforderung ergeben würde.

31

Allein die subjektive Vorstellung der Klägerin, sie müsse sich bei der AA vorstellen, begründet nicht den Versicherungsschutz des § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII.

32

Nach alldem war der Berufung in vollem Umfang stattzugeben.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

34

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

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